Gedankenwelt und Herzrasen

Im Sinn der Möglichkeit, dass wir uns irgendwann in einer lauten Welt verlieren, strecke ich meine Hand nach dir aus. Jede Sekunde, die sich unsere Zeigefinger berühren, untermalt deutlich die Illusion, dass ich meine Realität mit irgendeinem anderen Menschen teilen kann. Denn die eigene Realität ist unteilbar. Unteilbar und vielseitig mit Vergangenheit und Gegenwart der eigenen Existenz verstrickt. Und doch können wir uns mit einer anderen Person in Momenten der Übereinstimmung auf ein ähnlich (ja fast gleich) empfundenes Geschehen einigen. Wie beispielsweise wenn eine volle Blumenvase umfällt, dann könnte der Konsens entstehen, dass nun die unmittelbare Umgebung des Gefäßes nass ist.

Komplexer wird es aber, wenn es um die innere Lebenswelt des Individuums geht. Kein Gedanke gleicht einem anderen, keine Idee tritt exakt zweimal auf. Jedes fremdgesprochene Wort wird im Filter der eigenen Wahrnehmung auf eine Art bearbeitet, die jeglichem Einfluss entgleitet. Verfälscht, gar losgesagt von der Intention des Seders, taumeln auf diese Art Informationen zwischen Personen umher. Manchmal, da frage ich mich, wie Kommunikation überhaupt gelingen kann.

Denn sogar die Kommunikation zwischen Ratio und Emotion scheint komplizierter, als ich in jungen Jahren angenommen habe. Ich musste erst Ende 20 werden, um zu verstehen, dass nur weil wir etwas besser Wissen (und ja, das war schon allein ein langer Weg), es nicht bedeutet, dass wir auch einwandfrei handeln. Denn ein Gefühl kann, in Momenten, auch den sortiertesten Kopf aus der Bahn werfen und ihn bis zur Handlungsunfähigkeit bringen. Denn in einem Kopf, in dem es immer ein Plan gibt, herrsch Chaos, sobald sich Fäden der Emotionen so niederlegen, dass sie keinen Ausweg lassen. Keinen geplanten Ausweg zumindest. Einen Ausweg, den wird es wohl immer geben.

Mein Ausweg aus Gedankenwelt und Herzrasen ist mir darüber im Klaren zu sein, dass das Leben doch genau das ist: Gedankenwelt und Herzrasen. Manchmal warte ich aber ein bisschen zu lange mit der genannten Klarheit. So lange bis der Ausweg eine andere Form annimmt und zwar die salzigen Wassertropfenform, die meine Wangen herunterläuft. Dann frage ich mich manchmal, ob ich zulange gewartet habe. Mit Worten, die Gedanken hätten sein sollen. Oder ob ich wohl noch länger hätte warten müssen. Mit Gedanken, die zu Worten hätten werden müssen. 

Manchmal, das wirst du wohl schon bemerkt haben, verliere ich mich in dieser lauten Welt. Und manchmal (wohl fast immer) ist das auch in Ordnung so. Denn diese laute Welt, kann mit dir ganz leise sein. Ein gutes „leise“ mit einem sehr guten „wir“. 

Aller Anfang ist gut. Ende.

Aller Anfang ist gut – dachten wir, als wir Hand in Hand die Straße am See hinab liefen. Es war jedoch eine unwahre Aussage, dessen Fehler in ihrer Basisannahme eingenistet war. Veränderungen sind gut, denn Stillstand bedeutet das verloren gegangene Leben. Aber Nicht jeder Anfang ist gut. Jeder Anfang hat etwas Gutes, gleichsam wie Schlechtes. Oder gibt es Anfänge, die nur Schlecht sind oder nur Gut sind? Die Beantwortung dieser Frage ummantelt die Vorausgesetzt, dass wir ein Einverständnis über die Gegebenheiten der beiden Zustände treffen, ansonsten finden wir uns nur in fluide Behauptungen wieder, die niemals eine reale Bewandtnis haben werden. Aber sollten wir überhaupt noch über den Anfang reden, wenn wir mitten in dem Zustandsstrudel gefangen sind, der sich täglich selbst bedingt, mit dem Sorgenvollen blick auf das Morgen? Wem schenken wir gerade Aufmerksamkeit? Dem Jetzt? Aber das Jetzt konnte nur durch den Anfang entspringen. Also doch „alles zurück auf Anfang“, würde mein Großvater sagen und dabei eine Schallplatte in seinen Händen wenden. Aber ich wollte nicht zurück zum Anfang. Hier gefiel es mir allerdings auch nicht. Es muss sich irgendwas ändern. Aber was?
Paradox war es sowieso, dass sich die Stille um die Häuser legte, Vorhänge zugezogen blieben und sich das blau schimmernde Licht von Monitoren über sie ergoß und doch die Sonne dem Nachthimmel glich, als sei ein ganz normaler Tag vergangen. Die Komplexität dieses Zustandes war unbegreiflich, hatten wir doch gestern noch den Nachbarskindern einen Geldschein in die Hand gedrückt, damit sie sich beim Eismann eine zart fließende Leckerei ihrer Wahl aussuchen konnten. Nun war der Rasen leer. Ein großes Spielzeugauto und eine mit Blümchen bemalte gelbe Schaufel lagen im Vorgarten als seien sie hinterbliebene Waffen eines längst vergangenen Krieges.
Ich zog den Reisverschluss meiner Jacke bis zum Hals, dabei ließ ich deine Hand los. Der Zufall wollte es, dass wir uns trafen. Vor einige Zeit. Jetzt waren wir die Letzten, die sich Wärme schenken konnten.
Das Wasser des Sees glitzerte Hinter den Bäumen hervor, als wollte es mit jeder Erscheinung mehr Aufmerksamkeit erlangen. Es pulsierte, wie ein Marathonläufer hinter der Ziellinie. Der Wind strich auch mir durchs Haar. Heftiger als erwartet. Mit jedem Luftstoß wurde mir das Leben bewusster. Ich balanciere oft zwischen der Wichtigkeit und der Belanglosigkeit meiner Selbst.
Glückseligkeit ist eigentlich nur ein verstricktes Bündel aus erfüllten und unerfüllten Erwartungen an unsere Umwelt und dem daraus resultierenden Bild der eigenen Person.
Ich würde gerne Tanzen, dachte ich. Doch verletzt durch die eisige Kälte blieb ich starr. Du warfst einen Stein ins Wasser und freutest dich. Wie ein Kind. Mündig zu sein seinem Bewegungsdrang zu erklären ist ein Phänomen. Du konntest es. Gut sogar. Als wir zurück liefen war es fast so, als hörten wir die Stimmen der anderen hinter den Bäumen. Fast.

Anfang

Deine Welt gibt es schon.

Ich stehe am Kurfürstendamm. Der Kurfürstendamm. Einkaufsmeile. KaDeWe. Zu seiner Zeit ein Zauberland. Eine glitzernde Konsumstätte der Elite. Unterhaltung. Fiktion. Fantasie. Eleganz. Und ich. Ich stehe hier. 2020. Warte auf die Bahn. Das Mysterium längst dem harten Alltag gewichen. Grüne Wände. Auf jeder Bank eine schlafende Person. 5 Minuten noch. Der Schaubühnenabend steckt mir in den Knochen. Mark Waschkes Stimme schwirrt mir mit hoch philosophischen Lebensfragen im Kopf. Die Anzeige flimmert. 4 Minuten. Wer bin ich eigentlich und was habe ich von meiner Übergebung übernommen? Bin ich überhaupt Künstlerin, wenn ich mich durch die schnellen Umstände meines Alltags in einer, nach Leistung strebenden Gesellschaft verliere? Und tut genau dies ein Künstler nicht auch?

Louis Hofmann und Max Schimmelpfenning stehen an der Bar und bestellen sich eine Brezel. Ich sehe sie an und frage mich wie es sich wohl anfühlen muss: Die Einverleibung der Kunst in einem jungen Körper. Sie fangen an etwas zu tanzen. Schauspieler halt. Sind sie frei? Auf jeden Fall fühlen sie sich in der Lage ihren Körper zu ihrem Gemütszustand zu bewegen. Das kann nicht jeder. Das sollte auch nicht jeder. Aber Schauspieler dürfen das. Sie sollten es sogar. Oder?

Ich steh also am Kurfürstendamm. Einige Männer in grell-roten Warnwesten bekleben Plakate. Sie amüsieren sich sehr über das vollbusige Model. Das eine oder andere Kommentar unter der Gürtellinie ertönt. Es schnallt unaufhaltsam den Bahnhof entlang und verzerrt sich in seine Wiederholung. Wieso ist die Welt eigentlich so? So unaufhaltsam merkwürdig.

Du steckst dir einen Löffel Eis in den Mund. Ich mache ein Foto. Du siehst aus, als würdest du mit dem Eis diskutieren.
Wir diskutieren viel. Also du und ich. Wir wollen auch viel. Kunst, Liebe, Leben, Momente, Innovation. Weiterkommen. Nicht zuletzt sehe ich dich oft an und suche nach Erklärungen in dir, die eigentlich aus mit kommen müssten. Zwei Murmel- Seelen eben, die ihre Bahnen noch nicht gefunden haben. Und sich doch entschließen zusammen zu kullern.

Nun laufe ich mit meinem Handy vor der Nase von der U-Bahn zu mir nach Hause. Ich merke wie hinter mit jemand näher kommt. Schnellen Schrittes. Neben mir taucht ein Weihnachtsbaum auf, über den ich fast stolpere. Ich bin erstaunt über die Tatsache wie sich manche Menschen so lange das Weihnachtsfest erhalten.
Kann moderne Schreib und Dichtkunst überhaupt noch etwas romantisches haben, wenn es auf kleinen flimmernden Bildschirmen entsteht? Oder sollten wir Dichterinnen und Denkerinnen nicht auf Papier zurückgreifen, um jedem Wort seine individuelle Emotion zu geben? Die Person hinter mir holt mich ein. Und zieht vorüber. Sie isst Hühnchen aus einem Plastikbehälter. Ich frage mich was schlimmer ist. Das Festhalten von Schrift auf Mini-Computern oder Nahrungsmittel mit Erdölummantelung?

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In der Garderobe des Theaters

es ist ein sonderbarer Raum, in dem Träume brechen, in der Liebe ertragbar wird, in der sich Wahrhaftigkeit und Fiktion umarmen. Die Garderobe ist der Vorraum von konträren Welten, sie ist ein Transformationsabbild, eine Kontextverschiebung, eine Neusortierung von Worten, Fakten und Einstellungen.
Sie ist die Knautschzone der Persönlichkeit, ein vager Schutzraum, eine ineinander verschlungene Schnittstelle von Zukunft und Vergangenheit.
Mir ist klar geworden, dass ihre Haptik, ihre Energie, ihre Anschaulichkeit das Innere eines durchlässigen Schauspielers durchaus enorm beeinflusst.
Ihr Geruch, ihre Farben, ihr Licht, ihre Befindlichkeit haften an mir noch Tage nach einer Vorstellung. Sie gibt mir, in den Momenten der absoluten Verletzbarkeit, ein Teil von ihr. Zwar trennt die Bühne, die Welt vor den Pforten mit der des Spiels, doch es gibt keine Trennung zwischen Bühne und Garderobe. Durch das nicht Existieren einer klaren Grenze, verformt sich die Zeit in ihr zu einem komplexen Rhythmus, der nach einer eigenen Gesetzmäßigkeit die Umwandlung einer Person beherbergt. Und doch ist sie kein sicherer Ort, wie ich finde. Einflüsse von außen Dringen hinein und erzeugen vereinzelt ein Ungleichgewicht zwischen Realität und Spiel.
Doch sie ist auch ein Ort der Freude, des Verbundes, des Agreements einer Gruppe sich zu fangen, sich im richtigen Moment loszulassen, nur um abschließend ein Netz zu formen, in das sich der Körper winden kann. Sie ist auch der Ort der Ansprachen, des Appelles, des Mut machens, des Zweifelns, des Frustes und der Herzlichkeit.
Wenn ihr Licht erlischt, bleibt die Energie aller Emotion zurück, die ein Mensch erleben kann. Dann ist sie nur noch eine Narration, die einst stimulierte. Sie wird nie in der Lage sein den Moment zu behalten. Oft ist sie stiller Zeuge von Leid und Freude. Sie sucht nicht nach Perfektion. Sie ist lediglich der lebendige Übergang von Ignoranz zur Offenheit.

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Ich bin hell. Du bist hell. Er/sie/es sind hell.

Von meinem Zimmerfenster aus, sehe ich die Bahnen im Minutentakt in das dunkelgraue Bahnhofsgebäude rauschen. Wie nackte Schnecken schlängeln sich die Züge, auf der Suche nach Schutz, in das marode Gebäude. Manchmal, wenn ich etwas zu lange wach bin und sich der Zigarettenrauch vor meine Augen schiebt, glaube ich, dass der Bahnhof eine Illusion ist. Eine Illusion der Pendler, Mütter mit Kinderwägen und Halbstarken, die herumstehen und Bier trinken.
Ich glaube, nein ich weiß, dass der Bahnhof viele Geheimnisse trägt. Einige eingemauert, andere schweben frei herum.
Mit jedem Menschen, der sich vom Bahnsteig in einen Zug begibt, verschieben sich Lügen und setzen sich in Bewegung. Gesten und heute. Morgen und übermorgen.
Wenn ich einmal in einen Zug steige sehe ich bei der Abfahrt manchmal die Umrisse meines stetig wartenden Ichs.
Ich führe in diesem Moment ein Doppelleben. Ein Leben des Stillstandes und eines der Bewegung. Ich glaube dennoch, dass die Wahrheit meines wirklichen Daseins irgendwie dazwischen liegt. Zwischen Zug und Bahnsteigkante. Zwischen gut und böse. Zwischen dem Hier und dem Jetzt.
Mich fasziniert auch die Idee des nächsten Bahnhofes. Erst in dem Moment in dem ich ankomme, weiß ich, dass er existiert. Sic mundes creatus est . Wie fühlt es sich wohl an, wenn die Welt um dich nur wenige Sekunden vor deinem Eintreffen entsteht?
Was ist, wenn jeder nur einen oder zwei Quadratmeter gebastelter Welt mich sich herumträgt und allein durch die Kreuzwege entsteht die Stadt, in der wir leben?
Die Frage ist nur, ob eine einmalig erschaffene Welt für immer besteht? Nach dem Motto: Was man sät, das wird man ernten. Oder sind wir allein die Nutznießer in den von fremder Hand erschaffenen Weltabschnitte?
Bei den ganzen philosophischen Gedanken schmerzt mein Kopf.
Dazu trägt auch das grelle Licht des wackelnden Wagonabteils bei.
Die Welt vor dem Fenster verschwimmt. Das ganze Außen wird zu einer Masse. In diesem Moment ist im Außen alles Jetzt. Alles ist jetzt.
Wir halten abrupt an.
Vor uns steht ein Zug. Wir können nicht weiterfahren. Aus Langeweile nehme ich wahr wie der Zug mit den Schienen verschmilzt. Und dann verschmelze ich mit dem Zug. Wir werden eins. Das Mondlicht fällt auf die zerkratzen Scheiben. Das Graffiti an der Wand erleuchtet. Ich erkenne Zeichen. Omega und Alpha.
Dann steigt eine alte Frau ein und verscheucht mich berechtig von meinem Sitz. Die Zug-Ich Symbiose löst sich auf und so auch die Illusion.

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Ich würde ja, wenn ich könnte, aber ich will nicht.

Kurz habe ich nicht aufgepasst. Ganz kurz dachte ich, ich könnte den Eiswürfel-Flamingo in meinem Glas zugucken, wie er geschickt auf einer kleinen Welle hin und her wippt. Kurz habe ich mich in Sicherheit gedacht. Das Blaulicht ignoriert. Die Menschen ignoriert, die ihre tanzwütigen Körper an mir vorbeischoben. Kurz war ich ganz alleine. Dann sah ich dich.
Du standest am anderen Ende des Raumes. Deine langen Haare wellten sich sobald sie die Schultern erreichten. Deine blauen Augen starrten mich an. Nur Sekunden später realisierte ich, wie ähnlich du mir warst. Deine orange Hose bis zu den Knien hochgekrempelt. Deine zerknitterte Bluse in die Hose gesteckt. Deine Hände in stetiger Bewegung.

Ich schreibe viel über die Traurigkeit. Aber dieses mal nicht. Heute nicht. Heute ist nämlich der schönste Tag meines Lebens. Und Morgen ist auch der schönste Tag meines Lebens. Und Übermorgen…auch. Oft habe ich das Gefühl nicht in diese Welt zu passen. Das ist gut so. Ich möchte sie nämlich verändern. Wenn wir alle in sie hineinpassen würden, dann wären wir nur ein weiteres Teil eines Puzzles, welches irgendwann fertig ist. Welches, wenn es ganz schlimm kommt, fixiert irgendwo an einer Wand hängt. In einem dunkelbraunen Bilderrahmen.
Ich möchte kein Teil eines fertigen Puzzles sein. Ich möchte ein Teil einer Vision sein. Einer Vision, die nach einer Mischung aus Weinblättern und Pistolenpulver riecht.

Gestern habe ich eine kleines Liebesgeständnis in einer Ananas geritzt. Langsam bohrte sich das Messer durch die Schale und hinterließ Fugen der Kommunikation. Erst als ich fertig war bemerkte ich, dass die Idee nicht ausgereift war. Zitrusfrüchte dürfen nämlich nicht ins Flugzeug. Jetzt kann ich sie dir nicht geben. Die Ananas. Die Nachricht.
Aber das ist okay. Vielleicht werde ich dich einfach küssen. Und vielleicht wird der Kuss einfach ein bisschen nach Ananas schmecken. Und vielleicht ist das auch schon alles worum es hier geht.

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07:45

Bildschirmfoto 2019-06-25 um 07.36.37Eine wunderbare Weise die Welt zu sehen, ist indem man versteht, dass die Züge immer dann im Tal vorbei rauschen, wenn sie es sollen. Dass wir immer dann Schmerz und Freunde spüren, wenn es für uns an der Zeit ist.
Es ist nun 07:45 und SIE steht vor mir. Ihre Augen voller Hoffnung. Ihr Kleid zerschnitten und auf ihrem Kopf thront eine Narbe. Sie ist der letzte Sonnenstrahl, der sich über mein Frühstück legt. Ich kann sehen wie sich die Haferflocken in meiner Schüssel vor Freude anfangen zu umarmen. Liebevoll steigen auch die Rosinen mit ein. Group hug in my Müsli bowl all day long. Ein wahrer Augenschmaus.
Ich greife nach meine Kaffeetasse, als sich plötzlich Tränen auf meinen Wangen bilden. Sie laufen hinunter, als könne sie nichts und niemand aufhalten. Jede Träne fällt leichtfüßig auf den Steinboden unter meinen Füßen und ergibt dabei einen lieblichen Klang. Nach einer Weile ist die Luft gefüllt mit einer Symphony der Extraklasse. Nachbarn kommen aus ihren Häusern und bilden einen Halbkreis um mich, um meinem Tränenkonzert zu lauschen. Sie haben Decken und Stühle mitgebracht und schauen mir zu. Dabei trinken sie Cola aus Dosen, ziehen ihre Sonnenhüte tief ins Gesicht und wippen mit dem rechten Fuß im Tackt. Es ist eine sonderbare Welt denke ich mir, als mir ein alter Herr ein Stofftaschentuch reicht. Es ist eine sonderbare Welt.

Die Welt ist ein bisschen kleiner als erwartet.

Ich bin ja eigentlich gar nicht gekommen um zu bleiben.
Ich bin ja eigentlich nur gekommen, um ein Stück Tiramisu aus dem Kühlschrank zu stehlen. So ein gutes Stück Tiramisu mit weichem Boden, bei dem der Alkohol leicht in der Nase zieht, sobald der erste Bissen die Zunge berührt.

Gestern wollten Freunde zu Besuche kommen. Gestern war Sonntag.
Ich wollte Wein kaufen und diesen meinen Gästen anbieten. Doch ich verbrachte meine Zeit lieber damit meinen Kopf auf die Oberschenkel meines Freundes zu legen, in den blauen Himmel zu starren und darüber nachzudenken wir viele Halswirbel ein Schwan hat.
Ich glaube es sind 17. So alt wäre ich gerne mal wieder: 17.
Siebzehn ist sowieso eine eigenwillige Zahl. Sie sollte mehr Aufmerksamkeit bekommen. Morgen, das nehme ich mir vor, stecke ich 17% mehr Motivation in meinen Gang zur U-Bahn.
Ich werde 17% mehr Trinkgeld für meinen Kaffee geben und 17 Mal weniger auf mein Handy schauen. Ich werde mein Müsli in 17 Bissen essen und meine Kissen 17 Minuten lang auslüften.

Aber zurück zu meinem Besuch.

Bei den ganzen Gedanken an Halswirbeln habe ich nämlich den Wein vergessen. Dann bin ich schnell zu meinem Papa geflitzt. Er wohnt nicht weit weg. Er hatte keinen Wein, aber Gin. Auf dem Schrank. Den Gin, den ich vor Jahren mit meinen Freundinnen getrunken und durch Wasser ersetzt hatte, damit meine Eltern nichts merken. Ich stehe jetzt also mit einer Gin-Flasche voller Wasser im Hausflur und das Licht ist ausgegangen. Die Angst vor der letzten Stufe einer im Dunklen zu bewerkstelligen Treppe erklimmt mich. Gibt es noch eine Stufe? Ist die letzte Stufe eine Illusion? Werde ich gleich stolpern und das Gin-Wasser auf dem Boden verteilen?

Nein, ich bleibe unverletzt.

Mein Besucht bekommt Wasser mit Zitrone – nach einer Weile sind alle etwas angetrunken. Ich freue mich darüber.

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I’m not happy. You are.

Traurigkeit ist ja so Mainstream. Das war vielleicht mal cool in 2017.

Das Schlimmste am traurig sein ist, das es so wenig originell ist. Weinen. Nichts essen. Whatsapp – Nachrichten nicht beantworten. Nicht mehr weinen. Im Bett liegen bleiben. Phantomschmerzen erzeugen. Echte Schmerzen ignorieren.

Ich muss aufstehen. Nehme mir stark vor vom Imbiss Pommes zu kaufen.
Elon Musk hat in der Zeit, in der ich überlegt habe meine Zähne zu putzen bestimmt eine Rakete gebaut, die allein mit Sonnenenergie zum Mars fliegen kann. Musk retten die Menschheit. Ich rette mein Bett vor der Einsamkeit. Deal!

Der Weg zum Bad ist heute besonders steinig. Ich steige über einen schlafenden Menschen, der im Flur neben einer leeren Mate Falsche liegt. Jetzt merke ich meine Kopfschmerzen. Au.

Draußen scheint die Sonne. Die Pommes habe ich an der Bushaltestelle liegen lassen.
Ich suche deinen Namen am Klingelschild. Er steht dort neben sieben anderen. Ich bin mir aber sicher, dass es nur eine dreier WG ist. Naja vielleicht haben die anderen ja mehrere Persönlichkeiten. Soll es auch geben.

Du stehst im dämmrigen Licht deines fensterlosen Flurs. Ich falle dir in die Arme.
Alles was ich will ist bleiben und auf deinem Röhrenfernseher Aufzeichnungen von längst vergangenen MTV Shows sehen. Dann will ich mich unter deiner Wolldecke an deine Brust kuscheln und einschlafen, währenddessen du mir mit deinen Fingerspitzen über den Rücken streichst.

In meinen Träumen werde ich mich alleine fühlen, aber alles wird leuchten. Das schlimmste an der Traurigkeit ist, dass sie so wenig originell ist. Niemand hat mehr Bock drauf. Jeder hat’s schon tausend Mal gesehen.

Ich wache auf – lasse die Augen zu. In Gedanken male ich ein imaginäres Herz mit Lippenstift um deinen Bauchnabel.

Das tut gut.

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be careful what you wish for

Ich bin mir nicht sicher, wie das Zeitungspapier, nachdem es durch eine Windböe hoch in die Luft gewirbelt wurde, wieder auf dem Boden aufschlagen wird.
Da es durch die Explosion Feuer gefangen hatte, kam eine weitere ungewisse Komponente hinzu. Die Glut spaltet sich durch ruckartige Bewegungen von dem Papier ab und segelt gen Erdboden. Das wiederum verpasste der Zeitung durch die veränderte Masse einen Richtungswechsel. Das Papier flog unaufhaltsam – rotierend über die Straße. Wie ein Phönix.
Es war ganz still um mich.
Ich habe mal in einem Film gehört, dass der hohe Ton, der sich nach einer Explosion im Kopf ausbreitet, durch das Sterben von Zellen verantwortlich ist. Bedeutet im Umkehrschluss, dass dieser Ton für immer verloren geht. Er stirbt ja.

Aber eigentlich möchte ich werde über Feuer noch über den Tod schreiben.
Eigentlich wollte ich nur Blumen kaufen und habe mich daher früh aus dem Bett geschält. Eigentlich wollte ich nur Blumen kaufen, um sie mir auf den Küchentisch zustellen, damit ich sie in ihrer Farbe und Form ausgiebige betrachten kann.
Die Natur hat nämlich einen echt logischen und guten Kreislauf geschaffen. Ist ja kein Geheimnis. Aber die Natur ist eben nicht unfehlbar. Sie hat zugelassen, dass der Mensch entsteht. Der Mensch.
Nicht falsch verstehen, Menschen faszinieren mich – ich bin selbst einer und unser Bewusstsein über das eigene Wesen bringt uns generell dazu das gedankliche Zentrum unseres Daseins zu verkörpern. Aber ich fasziniere mich selbst. Ich arbeite als Weltraumwissenschaftlerin. Was mein Gehirn produziert und welche logischen Schlüsse daraus folgen, sind überragend. An anderen Tagen liege ich mit einem Eis auf der Couch und fühle mich einsam. Das ist doch verrückt. Obwohl ich glaube, dass man das auch unter Balance abstempeln könnte.
Ausgewogen essen, ausgewogen schlafen, ausgewogen einsam sein.

Naja, also zurück zu den Blumen.
Ich wollte eben Blumen kaufen gehen. Nur Blumen. Als ich noch zehn Meter entfernt war, zersprang der ganze Blumenladen vor meinen Augen in tausend Einzelteile.
Ein klassischer Fall von „Pech gehabt“.

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